Thomas und Jana bei der Eröffnung des WordCamp Leipzig 2025

Dieses Wochenende habe ich am WordCamp Leipzig 2025 teilgenommen, und das WordCamp Leipzig ist schon etwas Besonderes. Es ist super erschwinglich, selbst für ein WordCamp mit nur 9€ pro Ticket. Dieses Jahr waren die Tickets so begehrt, dass die Organisatoren E-Mails verschickt haben, um sicherzustellen, dass Leute, die ein Ticket gekauft hatten, auch teilnehmen würden oder ihr Ticket an Leute weitergeben konnten, die kein Ticket bekommen haben.

Aber das ist noch nicht alles. Letztes Jahr habe ich Manuela Grunert, oder Yuri wie sie sich selbst nennt, kennengelernt. Wir spielen zusammen Minecraft und sie ist blind. Sie hat nur noch etwa 2 % ihres Sehvermögens. Und ja, 2% sind in Deutschland gesetzlich blind, sie kann immer noch Farben und Schemata sehen. Und wenn sie sich etwas ganz nah vors Auge hält, kann sie lesen.

Da ich immer neugierig bin und noch nie die Gelegenheit hatte, mit einer blinden Person zu sprechen, fragte ich sie, ob ich ein paar Fragen stellen könnte. Sie stimmte zu. Ein paar Wochen später fragte ich, ob sie ihre Erkenntnisse mit einer breiteren Gruppe teilen wolle, vielleicht bei einem WordPress Meetup, und aus dieser Idee wurde schließlich eine Bewerbung für das WordCamp Leipzig.

Die ersten Vorträge von blinden Menschen auf einem deutschen WordCamp

Ihr Bruder Mathias Grunert, der zufällig ein blinder Entwickler ist, bewarb sich ebenfalls und beide wurden ausgewählt, um in Leipzig zu sprechen. Wir hatten also nicht nur einen, sondern gleich zwei Vorträge von blinden Menschen in Leipzig.

Yuri and her audience at WordCamp

Yuri war sehr nervös und da ich sie ins kalte Wasser geworfen hatte, ich entschied mich, ihre Anmoderation zu übernehmen. Beide Vorträge waren großartig und – ohne Übertreibung oder absichtliches Wortspiel – augenöffnend. Es ist etwas ganz anderes, wenn du von einem Experten für Barrierefreiheit hörst, was du theoretisch tun solltest, als wenn du aus erster Hand erfährst, was passiert, wenn du es nicht tust.

In Yuris Vortrag ging es darum, wie sie als Nutzerin das Internet mit einem Smartphone nutzt. Und ihre Eröffnungsfragen, die wir gemeinsam entwickelt haben, hatten die erwarteten Ergebnisse und Auswirkungen.

Den etwa 60 Zuhörerinnen und Zuhörern wurden drei Fragen gestellt und sie wurden aufgefordert, ihre Hand zu senken, sobald ihre Antwort „Nein“ lautete Die erste Frage lautete: „Wer von euch hat schon einmal eine Website erstellt oder gepflegt?“ – Wie erwartet, blieben alle Hände oben. Die zweite Frage lautete: „Wer hat sie auf Barrierefreiheit geprüft?“ – Etwa 10 Personen senkten ihre Hand. Das war etwas weniger, als ich erwartet hatte, was eine positive Überraschung war. Aber die dritte Frage hatte das erwartete Ergebnis und die erwartete Wirkung: „Und wer von euch hat das mit einem Smartphone gemacht?“ – Wenn ich richtig gezählt habe, blieben nur 7 Hände erhoben; alle anderen, mich eingeschlossen, ließen die Hände sinken.

Yuri präsentierte dann ihren Vortrag und praktische Beispiele mit VoiceOver auf ihrem iPhone. Einigen war das VoiceOver zu schnell, andere fanden es gut, ihre persönlichen Erfahrungen zu sehen. Ein Zuhörer bemerkte, dass manche blinde Menschen VoiceOver mit bis zu 1.000 Wörtern pro Minute hören. Zum Vergleich: Du wirst diesen Artikel wahrscheinlich mit etwa 200-240 Wörtern pro Minute lesen.

Ihr Vortrag ist mittlerweile auf WordPress.tv zu sehen und zu hören. Danke an Thomas und das TV Team für die schnelle Nachbearbeitung. Leider gab es eine technische Panne, weswegen das Voice Over nur über Yuris Mikrofon aufgenommen wurde. Wenn man sich den Vortrag in einer ruhigen Umgebung anhört, bekommt man aber trotzdem alles mit.

Der blinde Insider – der zweite Vortrag

Mathias hatte eine andere Sichtweise – oder einen anderen Erfahrungshorizont? – als Entwickler zeigte er handwerkliche Beispiele, die ihm im Laufe der Jahre begegnet sind. Meine persönlichen Highlights in seinem Vortrag: Er präsentierte seine Folien aus dem Gedächtnis, so dass die ersten etwa 10 Minuten buchstäblich und im übertragenen Sinne blind vorgetragen wurden. Und während seiner Hands-on-Session ließ er uns anhand einiger Beispiele in seine Welt eintauchen, indem er den Bildschirm schwarz machte. Bei den gegebenen Beispielen hat keiner von uns richtig erraten, was VoiceOver uns zu sagen versuchte.

Mathias kündigte an, dass er diese Beispiele teilen würde. Sobald ich den Link habe, werde ich ihn hier hinzufügen.

Auch Mathias Vortrag ist mittlerweile auf WordPress.tv, leider ebenfalls mit der gleichen technischen Panne. Auch hier hilft eine ruhige Umgebung um alles mitzubekommen.

Meine persönliche blinde Erfahrung

Da ich sie eingeladen hatte, kümmerte ich mich auch darum, sie vom Hauptbahnhof zum Hotel, zum Veranstaltungsort und zurück zu bringen. Außerdem habe ich sie während des WordCamps unterstützt, wenn es nötig war.

Für mich war das eine Erfahrung, die mich anders auf Selbstverständlichkeiten blicken lässt. Dinge, die für uns sehende Menschen eine kleine Unannehmlichkeit sind, können für Yuri, Mathias und andere sehbehinderte Menschen ein echter Kampf sein.

Eine Straßenbahn/eine U-Bahn/ein Zug ohne korrekte Ansagen? Für uns ist das ärgerlich. Für sie? Sie könnten die Bahn zu früh verlassen oder den Ausstieg verpassen.

Eine steile Treppe? Ein loser Handlauf? Eine niedrige Decke ohne Markierung? Für sie ist es viel wahrscheinlicher, dass sie stolpern oder sich den Kopf stoßen.

Ein Fastfood-Restaurant mit ausgefallenen Namen für seine Produkte, dessen Speisekarte auf einem Fernseher animiert wird und das keine Handzettel hat? Für uns ist das meist kein Problem – schlimmstenfalls ein bisschen lästig. Sie müssen fragen, was auf der Speisekarte steht.

Ich gehe mit einem besseren Verständnis für ihre Schwierigkeiten im Leben nach Hause und bin beeindruckt von dem, was sie ohne die für uns selbstverständlichen Sinne erreichen.

Auch andere haben sie mit offenen Armen in die Gemeinschaft aufgenommen, und sie wurden bereits gebeten, auf anderen WordCamps zu sprechen. Es besteht also Hoffnung, dass dies nicht ihr letzter Auftritt auf WordCamps sein wird. Und vielleicht ermutigt es andere, ihrem Beispiel zu folgen.

Aufruf für Redner und Organisatoren

Wir haben viel von den beiden gelernt, und meiner bescheidenen Meinung nach ist es sehr wertvoll, dies aus erster Hand zu erfahren – wertvoller, als ich es mir vorgestellt hatte. A11y-Experten können nur theoretisches Wissen vermitteln. Das brauchen wir zwar immer noch, aber zu verstehen, warum, ist eine ganz andere Geschichte.

Beeinträchtigte Sprecher/innen

Wenn DU also sehbehindert, blind, taub, farbenblind oder anderweitig eingeschränkt bist, was es dir erschwert, am alltäglichen Leben im Internet teilzunehmen, dann wende dich an deine lokale Community – sei es ein WordPress-Treffen, WordCamp oder ähnliche Communities für Joomla, TYPO3, Drupal usw. – und erzähle deine Geschichte.

Organisatoren

Das Gleiche gilt für die Organisatoren von Veranstaltungen: Barrierefreiheit wird immer wichtiger. Wenn du jemanden kennst, ermutige ihn, seine persönlichen Erfahrungen zu teilen. Du kannst dich auch an mich oder an die Organisatoren des WordCamp Leipzig wenden.

Danke an alle anderen

Auch wenn ich nicht über die restlichen Vorträge auf dem WordCamp Leipzig berichtet habe, möchte ich mich bei allen anderen bedanken: den Organisatoren, den Rednern und allen Teilnehmern.

Christoph giving Robert a crocheted personalized Wapuu with green shirt, glasses and straw hat.
Und ein besonderes Dankeschön an Robert, der das WordCamp Leipzig ins Leben gerufen hat. Viel Spaß mit deinem gehäkelten Doppelgänger.